Nikolaus Harnoncourt und die Wiener Philharmoniker
Die besondere Zusammenarbeit zwischen Nikolaus Harnoncourt und den Wiener Philharmonikern begann bereits außergewöhnlich. Erfolgen philharmonische Debüts meist außerhalb der Abonnementkonzerte, dirigierte Nikolaus Harnoncourt gleich bei seinem ersten Auftritt am 8. Dezember 1984 innerhalb der vom Orchester seit 1860 selbst veranstalteten Konzertserie. Auf dem Programm standen Werke von Komponisten, die fortan eine große Rolle im Zusammenwirken des Dirigenten mit den Wiener Philharmonikern spielten: die „Pariser Symphonie“ KV 297 von Wolfgang Amadeus Mozart, sein Violinkonzert G-Dur KV 216 mit Gidon Kremer als Solisten sowie Franz Schuberts „Tragische Symphonie“ D 417. Schon zuvor hatten mit Gidon Kremer Schallplatteneinspielungen stattgefunden.
Am Tag genau zwanzig Jahre nach diesem ersten Konzert, am 8. Dezember 2004, wurde Nikolaus Harnoncourt Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker, die höchste Auszeichnung, die das Orchester zu vergeben hat. Clemens Hellsberg, Vorstand der Wiener Philharmoniker von 1997 bis 2014, äußerte über das Zusammenfinden des Orchesters mit Nikolaus Harnoncourt: „Es war ein Weg von scheinbar entgegengesetzten Polen aus aufeinander zu, ein langsamer Prozess wachsenden wechselseitigen Verständnisses, der auf der gemeinsamen Bereitschaft beruhte, Unmögliches zu begehren.“
Bis 1991 war es vor allem Mozart, der Nikolaus Harnoncourt und die Wiener Philharmoniker verband. Seine neuen Interpretationen vielfach bekannter und vertrauter Kompositionen sorgten für aufrüttelnde und erhellende, teils auch provokante Hör- und Spielerfahrungen und wurden schnell zu gefragten Höhepunkten der jeweiligen Konzertsaison.
Danach fand im Rahmen eines Konzerts bei den Wiener Festwochen Joseph Haydn ins gemeinsame Repertoire, und erstmals erklang Schuberts „Unvollendete“, die sich später als ein Schlüsselwerk der Zusammenarbeit herauskristallisierte.
1996 folgte Ludwig van Beethoven, zunächst mit der 8. Symphonie, 1997 Alban Bergs Violinkonzert, wiederum mit Gidon Kremer sowie die 1877 von den Wiener Philharmonikern uraufgeführte 2. Symphonie von Johannes Brahms, 1999 Anton Bruckner mit seiner 7. Symphonie und Johann Strauß anlässlich von Gedenkkonzerten zum 100. Todestag. 2000 kam es zur Aufführung von Franz Schmidts Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“.
2001 und 2003 dirigierte Nikolaus Harnoncourt zwei unvergessene Neujahrskonzerte, in denen er die Tiefe und instrumentale Finesse der Werke der Strauß-Dynastie ins Zentrum rückte.
2001 erfolgte die gemeinsame Entdeckungsreise zu Antonín Dvoráks 9. Symphonie. Die so erfolgreiche Aufführung von Bedřich Smetanas „Má Vlast“ im selben Jahr war die erste Gesamtaufführung aller sechs Teile des Zyklus in der Geschichte der Wiener Philharmoniker. 2002 standen unter anderem Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ und bei den Salzburger Festspielen Mozarts Oper „Don Giovanni“ auf dem Programm. Mit großem Erfolg wurde dort in einem Gesprächskonzert auch Bruckners 9. Symphonie, einschließlich der Fragmente des Schlusssatzes, gegeben.
2003 folgte bei den Salzburger Festspielen Mozarts „La Clemenza di Tito“ sowie Haydns „Die Schöpfung“ in Rom. 2004 gab es Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“ in neuem Klanggewand, am 27. Jänner 2006 eröffnete Harnoncourt mit den Philharmonikern das Mozart-Jahr in Salzburg, gefolgt von „Le Nozze di Figaro“ bei den Sommerfestspielen. Es schlossen sich 2007 „Ein deutsches Requiem“ von Brahms und 2008 Robert Schumanns „Das Paradies und die Peri“ als philharmonische Erstaufführung an. Nicht nur sein akribisches Quellenstudium, sondern auch die plastische und bildhafte Art, in der er den Musikerinnen und Musikern seine Erkenntnisse vermittelte, war einzigartig.
2010 kam es mit Beethovens 1. Klavierkonzert zu einer Begegnung mit Lang Lang, der später Aufnahmen für „The Mozart Album“ folgten. 2013 dirigierte Nikolaus Harnoncourt in Salzburg Haydns „Die Jahreszeiten“. Zur Konzerttätigkeit in Wien und Salzburg kamen mehrere höchst erfolgreiche Tourneen, beginnend 1997 in die Schweiz und nach Deutschland, 2003 und 2010 in die USA sowie 2006 nach Japan.
Die Aufführungen von Schuberts Schauspielmusik zu „Rosamunde“ und nochmals der „Unvollendeten“ 2014 bildeten zusammen mit einem letzten Schubert-Programm bei der Mozartwoche 2015 den ungeplanten, aber umso eindrucksvolleren und bewegenderen Schlusspunkt dieser drei Jahrzehnte währenden Zusammenarbeit. Am 4. Dezember 2015 schrieb Nikolaus Harnoncourt, nach 154 gemeinsamen Konzerten, anlässlich seines Abschieds als Dirigent an die Wiener Philharmoniker: „Hier ist nicht der Ort, unsere großartige, langjährige spannende Zusammenarbeit zu beleuchten…die Unvollendete aus Berlin klingt mir ewig weiter…“.
Zu den vielfach ausgezeichneten gemeinsamen Einspielungen zählen neben den Neujahrskonzerten Mozarts fünf Violinkonzerte mit Gidon Kremer, zu dem noch Kim Kashkashian für die Sinfonia concertante KV 364 trat, , Mozarts „Le Nozze di Figaro“ und das Eröffnungskonzert 2009 von den Salzburger Festspielen, „The Mozart Album“ mit Lang Lang, Bruckners Symphonien Nr. 5 und 9, „Ein deutsches Requiem“ von Brahms, Smetanas „Má Vlast“, Schmidts „Das Buch mit sieben Siegeln“, Haydns „Die Jahreszeiten“ und Verdis „Messa da Requiem“ sowie die Oper „Aida“.
Silvia Kargl
Historisches Archiv der Wiener Philharmoniker