Freitag, 13. Juni 2025

Sommernachtskonzert 2025

20:45 Schloss Schönbrunn, Schlosspark, Wien, Österreich
Vergrößern © Niklas Schnaubelt
Dirigent Tugan Sokhiev
Orchester Wiener Philharmoniker
Tenor Piotr Beczala
Chor Wiener Sängerknaben
Programm Johann Sebastian Bach Air aus der Orchestersuite Nr. 3 in D-Dur, BWV 1068 Jacques Offenbach "Komm’ mit uns und sing’ und tanze", Elfenchor aus der Oper „Die Rheinnixen“ Georges Bizet Farandole aus L`Arlésienne, Suite Nr. 2 Georges Bizet Vorspiel zum 3. Akt der Oper „Carmen“ Georges Bizet "La fleur que tu m’avais jetée", Arie des Don José aus der Oper "Carmen" ("Blumenarie") Peter Iljitsch Tschaikowsky Blumenwalzer aus dem Ballett "Der Nussknacker", op. 71 Edvard Grieg Morgenstimmung aus Peer-Gynt-Suite Nr. 1, op. 46 Antonín Dvořák Slawischer Tanz Nr. 1 in C-Dur, op. 46/1 Pietro Mascagni Intermezzo aus der Oper "Cavalleria rusticana" Giacomo Puccini "Nessun Dorma", Arie des Prinzen Kalaf aus der Oper "Turandot" Camille Saint-Saens Danse Bacchanale aus der Oper "Samson et Dalila", op. 47 Hector Berlioz Ungarischer Marsch aus der Oper "La Damnation de Faust", op. 24 Otto Nicolai Ouvertüre zur Oper "Die lustigen Weiber von Windsor" Emmerich Kálmán "Wenn es Abend wird" ("Grüß mir mein Wien"), Lied des Tassilo aus der Operette "Gräfin Mariza"

Werkbesprechung

Von Tänzen und Leidenschaften

Beim diesjährigen Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker debütieren sowohl Tugan Sokhiev als auch Piotr Beczała und die Wiener Sängerknaben in einem ausgesprochen vielgestaltigen Programm aus Werken von der Mitte des 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert. Dirigent wie Solist verbindet mit den Wiener Philharmonikern bereits eine lange Zusammenarbeit seit 2009 beziehungsweise 1996.

Aus traurigem Anlass steht am Beginn des Konzerts das Air aus der Orchestersuite Nr. 3 in D-Dur von Johann Sebastian Bach. „Musik spricht auch dort, wo Worte versagen. Aus unserer tiefen Bestürzung heraus werden wir dem Sommernachtskonzert das Air von Johann Sebastian Bach voranstellen. Wir sind in Gedanken bei den Hinterbliebenen und Freunden“, so der Vorstand der Wiener Philharmoniker Daniel Froschauer. Nach einer Amoktat an einer Schule in Graz mit elf Todesopfern drei Tage vor dem Konzert steht Österreich im Zeichen einer Staatstrauer.

Jacques Offenbach versuchte, in Wien nicht nur mit seinen Operetten, sondern auch als Opernkomponist zu reüssieren. Von der Hofoper erhielt er den Kompositionsauftrag zu Die Rheinnixen – eine Mischung aus romantischer Historien- und Feenoper mit Reverenz an die französische Grand Opéra, die während des südwestdeutschen Ritterkriegs im 16. Jahrhundert spielt. Nach der 1864 von den damaligen Wiener Philharmonikern in ihrer zweiten Gestalt als Opernorchester gespielten Uraufführungs- und Wiederaufnahmeserie hielt sich das Werk, unter anderem wegen Sängerproblemen, jedoch nicht länger im Repertoire. Zudem verübelte Richard Wagner Offenbach sein Hofoperndebüt, hatte die Direktion doch, auch um Platz im Spielplan zu schaffen, nach Dutzenden Proben die Wiener Uraufführung von Tristan und Isolde aufgegeben. Dass Wagner mittlerweile auch seine Rheingold-Partitur in der Schublade hatte, gab dem Feuilleton reichhaltig Gelegenheit zum Spott über Offenbachs Versuch, mit seinen Nixen »reines Gold« zu verdienen, während Wagner in Wien »rein nix« werden zu können schien. Die Melodie des Elfenchors aus dem Dritten Akt durchzieht die Rheinnixen bereits von der Ouvertüre an: Offenbach arbeitete mit Erinnerungsmotiven, seiner Variante von Wagners Leitmotiven. An diesen Chor erinnerte er sich auch in seiner letzten Oper Les Contes d’Hoffmann, wo sich der rheinische Elfengesang zur venezianischen Barkarole verwandelt.

Georges Bizet komponierte 1872 eine Bühnenmusik zu Alphonse Daudets Drama L’Arlésienne. Im Mittelpunkt steht die im Selbstmord endende Liebe des provenzalischen Bauers Frédéri zu einem namenlosen Mädchen aus Arles, das im Stück gar nicht auftritt und nur L’Arlésienne genannt wird. Bizets Musik fand in zwei Suiten den Weg in den Konzertsaal. Die erste arrangierte der Komponist selbst, die zweite stellte sein Freund Ernest Guiraud 1879 postum zusammen. Die abschließende Farandole gibt sich als provenzalischer Volkstanz, mit dem das Fest des Heiligen Eligius begangen wird. Sind anfangs die beiden Schauspielnummern – ein marschartiger Chor und ein schneller Tanz, die Guiraud kombinierte – noch deutlich zu erkennen, überlagern sie sich schließlich in rasant gesteigertem Tempo.

Im März 1875 erlebte Bizets Oper Carmen ihre Uraufführung an der Pariser Opéra Comique. Die realistische Darstellung arbeitender Menschen, und vor allem das Porträt einer selbstbestimmten Frau abseits bürgerlicher Konventionen, brachte ihm allerdings nicht den ersehnten Durchbruch. Seit Langem gesundheitlich angeschlagen, starb Bizet nur drei Monate nach der Premiere. Doch bereits im Oktober desselben Jahres begann von Wien aus Carmens Siegeszug in einer Fassung, in der der spätere L’Arlésienne-Bearbeiter Guiraud die gesprochenen Dialoge durch Rezitative ersetzte. Zunächst führt das Vorspielzum Dritten Akt in die pittoreske Berglandschaft eines andalusischen Schmugglerlagers, in dem Carmen und der ihr in eifersüchtiger Liebe verfallene degradierte Offizier Don José ihrem nächtlichen Gewerbe nachgehen. Don Josés anschließende »Blumenarie« aus dem Zweiten Akt arbeitet den Beginn der schicksalhaften Beziehung zu Carmen auf: Nachdem er der wegen Körperverletzung verhafteten Tabakarbeiterin zur Flucht verholfen hatte, war er selbst inhaftiert worden. Carmen hatte ihm eine Feile in seine Zelle geschmuggelt – derer er sich aus Soldatenehre nicht bediente – sowie eine Blume hineingeworfen, die – mittlerweile getrocknet – zum Symbol seiner Leidenschaft und Antrieb für das Wiedersehen wurde. Dessen letztlich fatalen Ausgang deutet das Schicksalsmotiv des Englischhorns zu Beginn der Arie bereits an.

Während Don Josés Arie eine einzelne Cassia-Blüte würdigt, ist der Blumenwalzer aus Pjotr Iljitsch Tschaikowskys Ballett Der Nussknacker Teil eines Divertissements, in dem die Tänzerinnen und Tänzer im Finale die glückliche Rettung des Nussknackerprinzen vor dem Mäusekönig durch ein unerschrockenes Mädchen feiern. Die lockere Dramaturgie der einzelnen Szenen wurde bei der Uraufführung am St. Petersburger Mariinsky-Theater 1892 kritisiert, erwies sich jedoch ideal für eine Vielfalt an Interpretationen. Bereits neun Monate vor der Uraufführung hatte Tschaikowsky die von ihm zusammengestellte Nussknacker-Suite dirigiert, auch sie endet mit dem Blumenwalzer.

Edvard Griegs Musik zu Peer Gynt entstand ebenso für die Bühne. 1876 wurde sie mit Henrik Ibsens Drama über einen die Menschen- wie die Fabelwelt durchstreifenden Bauernsohn in Christiania (heute Oslo) uraufgeführt. Für den Konzertsaal stellte Grieg 1888 und 1891 zwei Suiten aus der Schauspielmusik zusammen. Die erste, entstanden während eines Aufenthalts in Leipzig, beginnt mit der romantischen »Morgenstimmung« als Allegretto pastorale, wenn sanfte Holzbläser- und Streicherklänge einen idyllischen Tagesanbruch beschreiben.

Von Norwegen führt der erste Slawische Tanz von Antonín Dvořák nach Böhmen. Inspiriert von Rhythmen und Motivenaus seiner Heimat schuf der Komponist 1878 acht Tänze in einer vierhändigen Klavierfassung und orchestrierte sie bald darauf. Am Beginn dieser ersten Serie steht ein Furiant mit seinem charakteristischen Wechsel von Zweier- und Dreiermetrum. Als Vorbild dienten die Ungarischen Tänze von Johannes Brahms, der zu den Förderern des jungen Dvořák zählte, diesen für ein Stipendium in Wien empfohlen hatte und an seinen eigenen Verleger Fritz Simrock vermittelte.

Mit Pietro Mascagni wechselt der musikalische Schauplatz nach Sizilien. Seine Oper Cavalleria rusticana spielt am Ostersonntag. Das Intermezzo schildert eine dörfliche Atmosphäre, während die Bewohner den Ostergottesdienst besuchen. Die besinnliche Szene ist ein Kontrapunkt zu den nachfolgenden dramatischen Ereignissen dieser Verismo-Oper, die zu einem tödlichen Duell eskalieren. 1892, zwei Jahre nach der Uraufführung in Rom, leitete Mascagni seine Oper während der Musik- und Theaterausstellung auch im Wiener Prater: »Es ist ein eigenartiges Schauspiel – das plötzliche elementare Aufsteigen dieses Talents«, war in der Presse über das unvermittelte Erfolgsstück eines Wettbewerbs für Operneinakter zu lesen. 1901 stand Mascagni selbst am Dirigentenpult eines Konzerts der Wiener Philharmoniker im Musikverein und kehrte in den 1920er-Jahren zu weiteren Operndirigaten nach Wien zurück.

Auch Giacomo Puccini weilte zwischen 1907 und 1923 mehrfach in Wien. Bei seinem letzten Besuch spielte der bereits erkrankte Komponist Freunden Ausschnitte aus seiner neuen Oper Turandot am Klavier vor, die er schließlich nicht mehr vollenden konnte. Sie wurde erst 1926, zwei Jahre nach seinem Tod, in Mailand uraufgeführt. Die Wiener Premiere fand noch im selben Jahr in der Staatsoper statt. Die berühmteste Arie der Oper,»Nessun dorma«, ist eine Schlüsselstelle des Prinzen Calaf am Beginn des Dritten Akts. Die Höflinge müssen auf Befehl Prinzessin Turandots versuchen, in der Nacht den Namen des unbekannten Prinzen herauszufinden. Zu diesem Zeitpunkt hat der Brautwerber Calaf bereits die drei Rätsel der grausamen Turandot als erster Kandidat erfolgreich gelöst, damit seinen Kopf gerettet und das Recht erworben, sie zu heiraten. Er bietet ihr daraufhin einen Verzicht auf die Hochzeit an, wenn sie bis zum Morgengrauen seine Identität enthüllen kann. In »Keiner schlafe« vermutet Calaf jedoch mit gutem Grund, dass Turandot durch ihn zu lieben gelernt hat und er mit dem Sonnenaufgang »siegen« werde.

Camille Saint-Saëns’ 1877 in Weimar uraufgeführte Oper Samson et Dalila führt in den alttestamentarischen Konflikt zwischen Israeliten und Philistern. Letztere feiern im Dritten Akt mit einem orgiastischen Fest im Tempel des Gottes Dagon ihren mithilfe der Verführungskünste der Priesterin Dalila errungenen Sieg über den kraftstrotzenden Helden Samson. Der »Danse bacchanale« besticht im harmonischen Spiel mit den Leittönen durch seine exotisierende Einfärbung, zunächst im eröffnenden Oboensolo, dann im unablässig vorwärtstreibenden Tanz, der von einer schwärmerischen Episode unterbrochen wird.

Ein Ungarischer Marsch und Goethes Faust, der an verschiedenen Schauplätzen in Deutschland spielt – diese Verbindung wirft Fragen auf. Hector Berlioz lässt in seiner 1846 uraufgeführten »dramatischen Legende« La Damnation de Faust den Protagonisten tatsächlich in der Puszta erwachen, wo er auf eine in den Kampf ziehende Soldatentruppe trifft. Dieser Kniff erlaubte es Berlioz, hier seine Version des Rákóczy-Marsches zu platzieren. Dieser basiert auf einer Melodie aus dem frühen 18. Jahrhundert, mit der die Ungarn ihre Unterdrückung durch die Habsburger beklagten und ihren Anführer Franz II. Rákóczy als Befreier beschworen. In Nachbarschaft zu Saint-Saëns’ Bacchanal fällt auch hier der exotisch-orientalisierende Tonfall auf, der im 19. Jahrhundert von Paris aus zu den unterschiedlichstenöstlichen Schauplätzen führte.

Mit der Ouvertüre zur Oper Die lustigen Weiber von Windsor gedenken die Wiener Philharmoniker ihres Gründers, des aus Königsberg stammenden Komponisten und Dirigenten Otto Nicolai. Zur Zeit der Gründung der Wiener Philharmoniker 1842 wohnte Nicolai in jenem Haus auf der Seilerstätte, in dem sich seit dem Jahr 2000 im Haus der Musik das Museum der Wiener Philharmoniker und das Historische Archiv befinden. Zum 25-jährigen Jubiläum des Hauses der Musik widmen die Wiener Philharmoniker die Aufführung der Ouvertüre dieser musikalischen Institution der Stadt Wien. Die Enttäuschung darüber, dass die Uraufführung der Lustigen Weiber von Windsor von der Wiener Hofoper abgelehnt wurde, war der Hauptgrund für Nicolais frühen Abgang aus Wien (1847). 1849 erklang die Oper erstmals in Berlin, wo Nicolai wenige Wochen später starb.

Das Lied »Wenn es Abend wird / Grüß mir die süßen, die reizenden Frauen im schönen Wien« ist einer der beliebtesten Operettenschlager. Es stammt aus Emmerich Kálmáns Gräfin Mariza, die 1924 im Theater an der Wien uraufgeführt wurde. Graf Tassilo von Endrödy-Wittemburg sinniert am Beginn des Ersten Akts über sein trauriges Schicksal, das er sechs Jahre nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie mit vielen Adeligen teilte: Nach dem Verlust seines Besitzes ist der einstige Schlossherr verarmt und unter ungarischem Pseudonym nur mehr als Gutsverwalter bei der Gräfin Mariza angestellt. Mit diesem Lied sehnt sich Tassilo nach einer besseren Vergangenheit und der einstigen imperialen Metropole.

Silvia Kargl und Friedemann Pestel