4. Nationalsozialismus

Die Wiener Philharmoniker in der NS-Zeit (1938 bis 1945)

Vergrößern Wiener Philharmoniker mit Wilhelm Furtwängler

1938 griff auf brutalste Weise die Politik ins philharmonische Geschehen ein: Die Nationalsozialisten entließen fristlos alle jüdischen Künstler aus dem Dienst der Staatsoper und lösten den Verein Wiener Philharmoniker auf. Lediglich die Intervention Wilhelm Furtwänglers und anderer Personen bewirkte die Annullierung des Auflösungsbescheides und rettete bis auf zwei die „Halbjuden“ und „Versippten“ vor Entlassung aus dem Staatsopernorchester. Fünf Orchester-Kollegen verstarben trotz Intervention des neuen NS-Vorstandes, der sie vor der Deportation retten wollte, an den Folgen der KZ-Haft oder wurden ermordet. Weitere zwei Musiker kamen in Wien als direkte Folge von versuchter Deportation oder Verfolgung ums Leben.

Vergrößern Julius Stwertka, 1935
Vergrößern Rosé Quartett, 1915
Vergrößern Armin Tyroler und Hugo Burghauser, 1923
Vergrößern Bruno Walter, Rudolf Hanzl und Anton Weiss, 1925

Insgesamt neun Kollegen wurden ins Exil vertrieben. Die 11 verbliebenen Orchestermitglieder, die mit Jüdinnen verheiratet waren oder als „Halbjuden“ stigmatisiert wurden, lebten unter der ständigen Bedrohung des Widerrufs dieser „Sondergenehmigung“.

Doch auch im Orchester selbst gab es bereits eine im Rahmen der Nationalsozialistischen Betriebsorganisation Staatsoper (NSBO) sehr aktive „illegale“ Zelle, sodass bereits vor 1938 während des Verbots der NSDAP der Anteil der NSDAP-Mitglieder rund 20% betrug. 1942 waren 60 von 123 aktiven Musikern Mitglieder der NSDAP geworden.

Zum Projekt „Wiener Philharmoniker - Geschichtlicher Überblick zur NS-Zeit“

Ab April 2011 wurde von Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb neues Material zu den NS-Opfern und den Exilanten der Wiener Philharmoniker zusammengetragen, das auf der Website der Wiener Philharmoniker veröffentlicht wird. Es handelt sich dabei um Primärquellen zur Biografie der zwei ermordeten Philharmoniker, der aufgrund von Verfolgung bzw. KZ-Haft verstorbenen fünf Musiker sowie ihrer neun ins Exil vertriebenen Kollegen. Auch die Geschichte der elf verbliebenen Orchestermitglieder, die mit Jüdinnen verheiratet waren oder als „Halbjuden“ stigmatisiert wurden, sollte vertieft und analysiert werden.

Im Jänner 2013 wurde auf Initiative des damaligen Vorstands der Wiener Philharmoniker, Prof. Dr. Clemens Hellsberg, eine unabhängige Historikergruppe (Leitung: Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb, Mag.a Bernadette Mayrhofer, Dr. Fritz Trümpi) beauftragt, ihre Forschungsergebnisse und Publikationen für die Website des Orchesters aufzubereiten – unter Verwendung der genannten neu gefundenen Unterlagen sowie von allen Archivalien des Archivs der Wiener Philharmoniker.

Vergrößern Hans Knappertsbusch
Vergrößern Baldur von Schirach, 1942
Vergrößern Werkskonzert, 1942
Vergrößern Wiener Philharmoniker, 1942

Frau Mag.a Mayrhofer hat zu den im Nationalsozialismus vertriebenen und aufgrund der Verfolgung ums Leben gekommenen oder ermordeten Mitglieder des Staatsopernorchesters und des Vereins Wiener Philharmoniker biografische Porträts verfasst. Soweit die Quellenlage es (bisher) zuließ, wurden viele unterschiedliche biografische Facetten in die Porträts miteinbezogen, um der Diversität und Komplexität der Lebensläufe der vertriebenen und ermordeten Philharmoniker gerecht zu werden. Auch die Traumata und Leistungen der neun Exilanten werden von ihr in den Porträts thematisiert.

Dr. Fritz Trümpi liefert einen Überblick über die Politisierung des Orchesters ab dem Ersten Weltkrieg und analysiert, wie sich diese in der Ersten Republik und im Austrofaschismus weiterentwickelte. Besonders ausführlich geht er auf die Wechselwirkungen zwischen dem NS-Regime und den zwei neuen nationalsozialistischen Orchesterführern ein. Anhand neuer Quellen präsentiert er eine Studie zur Vereinsgeschichte des Orchesters. Außerdem unternimmt er eine politische Deutung des philharmonischen Repertoires und untersucht die Weise der medialen Präsenz des Orchesters im Nationalsozialismus.

Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb analysiert anhand neuer Quellenmaterialien die Folgen der Ausgrenzung und des Ausschlusses der zahlreichen jüdischen Sponsoren und Publikumsgruppen. Ein zweiter Bereich ist den zahlreichen Ehrungen von NS-Potentaten - darunter u.a. Arthur Seyss-Inquart und Baldur von Schirach - gewidmet. Überdies wird die Entstehungsgeschichte des „Neujahrskonzerts“ gestreift. Auch ein Kapitel über Ziele und Umsetzung der Entnazifizierung vertieft die Frage nach den personellen und inhaltlichen Kontinuitäten - die in beiden Fällen über die NS-Zeit hinaus zurückreichen. Insgesamt waren von 123 Mitgliedern des Vereins Wiener Philharmoniker 60 NSDAP-Mitglieder oder Parteianwärter (davon zwei SS-Mitglieder). Nach 1945 wurden vier Musiker sofort gekündigt und sechs pensioniert, zwei sind aber dann später wieder in das Staatsopernorchester und den Verein Wiener Philharmoniker aufgenommen worden.

Politisierungsprozess der Wiener Philharmoniker vom Ersten Weltkrieg bis 1945

Vertreibung und Ermordung von Wiener Philharmonikern nach 1938

Ermordung nach Deportation

In Wien „ums Leben gekommen“

Wiener Philharmoniker im Exil

Anmerkungen zu „Nazifizierung“ und „Entnazifizierung“

Nachkriegszeit

Gegenwart

  • Historisches Archiv - Bestand

    Die umfangreiche Programmsammlung und eine Konzertdatenbank bilden das Herz des Historischen Archivs.

    Download PDF von Silvia Kargl

  • Gedenksteine

    In Zusammenarbeit mit Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb, den Vorsitzenden des Vereins „Steine des Gedenkens für die Opfer der Shoah“, DI Thomas Breth und Mag. Gerhard Burda sowie dem Kulturamt der Stadt Wien gaben die Wiener Philharmoniker 17 Gedenksteine in Auftrag, die seit dem Frühjahr 2022 vor den letzten Wohnorten der Opfer, die im Historischen Archiv der Wiener Philharmoniker als ihre Adressen verzeichnet sind, verlegt wurden. 

    „Unser Gedenken soll ein deutliches und sichtbares Signal gegen das Vergessen sein und dazu beitragen, all unseren Kollegen jene Würde zurückzugeben, die ihnen einst versagt wurde. Wir sind uns bewusst, dass wir heute auch im Bereich der Kultur nicht davor gefeit sind, dass sich Unrechtsstrukturen ähnlich wie jene von damals wiederholen können. Diese Gedenkstunde haben wir bewusst an jenen Tag gesetzt, an dem sich der Geburtstag der Wiener Philharmoniker zum 181. Mal jährt. Sie weist aber auch in die Zukunft und ist als Appell an gegenwärtige und künftige Generationen von Musikerinnen und Musikern zu verstehen, wachsam zu bleiben sowie gesellschaftliche und demokratische Verantwortung wahrzunehmen“, so Daniel Froschauer, Vorstand der Wiener Philharmoniker.

    Am 28. März 2023 veranstalteten die Wiener Philharmoniker eine Gedenkstunde, um sich ihrer im Nationalsozialismus und in der Shoah verfolgten, vertriebenen und ermordeten Mitglieder und deren Familien zu erinnern. Sie fand vor dem Haus des ehemaligen Konzertmeisters Arnold Rosé und seiner Familie in der Pyrkergasse 23, 1190 Wien, statt. Die Gedenkstunde fand unter Mitwirkung des Vorstands der Wiener Philharmoniker, Prof. Daniel Froschauer, eines Bläserensembles der Wiener Philharmoniker, des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch, des Oberkantors Shmuel Barzilai sowie der Amtsführenden Stadträtin für Kultur und Wissenschaft, Mag. Veronica Kaup-Hasler, statt. 

Geschichte

5. Die Moderne Ära